Die ersten 2×11 Jahre (1951-1973)

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Das Entstehen unseres Vereins kann nur verstanden werden, wenn man sich die Zeit betrachtet, in der er gegründet wurde. Eine Zeit, die für die heutigen Generationen sehr weit weg ist. Die Umstände und das Lebensgefühl von damals sind nur schwer nachvollziehbar. Sechs Jahre waren seit dem Ende des 2. Weltkrieges vergangen. Neunkirchen war nach den zerstörerischen Bombenangriffen, die nur knapp 1000 Häuser unbeschadet überstanden hatten, mitten im Aufbau. Die vorrangige Sorge galt dem Alltäglichen. Die Menschen begannen erst langsam zu verstehen, dass sie Glück gehabt hatten, diesen mörderischen Krieg, der Millionen das Leben gekostet hatte, mehr oder minder unversehrt überstanden zu haben. Der Nachholbedarf sich zu freuen und zu feiern war groß: Nun endlich wurde das Leben langsam wieder besser.

So wurde auch Faasenacht gefeiert, und es wurde ordentlich gefeiert: Große Maskenbälle, organisiert z.B. von der Borussia oder von der TuS Neunkirchen, aber auch sogenannte Nasenabende und kleinere Veranstaltungen in Wirtshäusern und Sälen. Es war eine urtümliche und urwüchsige Faasenacht, die da zelebriert wurde. Auf dem Borussenball 1951 wurde besonders heftig gefeiert, vielleicht weil man an diesem Tag das Spiel verloren hatte, vielleicht aber auch nur weil man einfach ausgelassen sein wollte. Zumindest sollte dieser Ball für die Entstehung der Roten Funken von enormer Wichtigkeit sein.

Berichte von diesem Ball erreichte nämlich auch die klerikalen Ohren des damaligen Pfarrers von St. Marien Johann Schmidt. Was er da zu hören bekam, gefiel ihm in ganz und gar nicht: „Aufreizende Masken in ärmellosen Blusen, sehr kurze Röcke und tiefe Dekolletés hatten unter Einwirkung des Alkohols in Fluren und Ecken die öffentliche Moral arg in Gefahr gebracht – man habe sich nicht nur geküsst, so sagte man!“

Pfarrer Schmid, im Gegensatz zu den meisten katholischen Geistlichen ein erklärter Gegner der Faasenacht, war zutiefst beunruhigt und beschloss Gegenmaßnahmen zu ergreifen:

Am Fastnachtssonntag stieg er auf die Kanzel, hängte symbolisch ein Tuch über Jesus und hielt eine Predigt, dass den Gläubigen die Ohren wackelten. Er wettere gegen den Verfall der Sitten, die Verkommenheit der damaligen Jugend, die Tugendlosigkeit in der Stadt und besonders gegen die Faasenacht, die für ihn Quelle all diesen Übels war. Die Predigt verfehlte ihre Wirkung nicht. Sie wurde heftigst in der Stadt diskutiert, an Stammtischen, in Vereinen und Familien.

Auch in der Neunkircher Kolpingfamilie, ein von Adolph Kolping gegründeter katholischer Sozialverband, diskutierte man über die Predigt. Auch hier hatte man Faasenacht gefeiert. Aber züchtig und ohne Ausschweife – wie es sich für einen katholischen Verein gehörte: Sonntags und nicht am Samstag, eine Familienfeier, von der Öffentlichkeit nicht wirklich wahrgenommen. Nun beriet man, wie man mit dem Thema der Faasenacht weiter umgehen sollte. Es wurden Stimmen laut, die die Abschaffung der Faasenacht forderten. Andere verwiesen darauf, dass Adolf Kolping selbst die Freude und den Frohsinn in seinen Gesellenvereinen gefördert hatte und dass die Neunkircher Kolpingfamilie nachweislich bereits 1881 Faasenacht gefeiert hatte. Man müsse die aktuellen Auswüchse nur in Bahnen lenken, und eine sittsame Faasenacht, mit künstlerisch wertvollen Beiträgen sowie anspruchsvollen Programmpunkten schaffen. Es sollte die Vorgabe gelten: Von Zoten frei die Narretei!

Der Präses der Neunkircher Kolpingfamilie, Kaplan Adolf Wiedenfeld, selbst eine rheinische Frohnatur und Befürworter der Faasnacht, fand Gefallen an dieser Idee und beschloss eine Prunksitzung für das Jahr 1952 in Angriff zu nehmen. Die Unterstützung der Kolpinfamilie war ihm gewiss und so galt es darüber hinaus noch einige Mitstreiter zu gewinnen, die auf der einen Seite der Idee seiner Faasenacht zugeneigt waren, auf der anderen Seite aber auch einen guten Ruf in der Stadt besaßen. In Gottfried Zepp, Oberstudienrat a.D., selbst ein Kölner und erfahrener Faasenachter, Karl Stummbillig, dem Bankdirektor a.D., Dr. Hans Manderscheid, dem Schlachthofdirektor und Josef Jochem, dem späteren Kultusminister, fand er die geeigneten Mitstreiter.

Die erste Prunksitzung wurde auf den 10. Februar 1952 im damaligen Bergmannsheim terminiert. Ein festes Programm gab es nicht. Wer etwas vortragen wollte, konnte dies in der Bütt tun. Über der Bütt schwebte ein riesiger Zylinder, der auf den Redner herunter gelassen wurde, wenn der sich eine Zote nicht verkneifen konnte. Es wurde viel gesungen und geschunkelt, Gardetänze gab es keine.

Zur Überraschung aller Anwesenden trat unangekündigt und mit einem Tusch Präses Wiedenfeld an das Mikrofon, entrollte eine Pergamentrolle und verkündete:

Kraft meines Amtes als Präses der Kolpingfamilie stelle ich hiermit eine neue Sparte der Kolpingfamilie zur Verbreitung von Freude und Frohsinn und zur Pflege des karnevalistischen Brauchtums vor. In diese Sparte wird eine närrische Garde rekrutiert, die künftig als Stadtsoldaten Uniformen in den Farben rot-weiß und diesen Tschako tragen soll. Rote Funken – sollen sie heißen.“

Dabei entnahm er einer Hutschachtel einen roten Tschako mit weißer Straußenfeder, hielt ihn in die Höhe und setzte ihn unter Beifall des ganzen närrischen Hauses, Günter Bogler aufs Haupt, der damit der erste Funkengardist war. So waren die Roten Funken Neunkirchen gegründet. Ins Vereinsregister eingetragen waren sie allerdings schon ein Dreiviertel Jahr früher.

Nach der Gründungskappensitzung folgte ein Rosenmontagsball im evangelischen Gemeindehaus, bei dem die Truppe der Funkengardisten unter der Führung ihres Kommandanten Dr. Hans Manderscheid ihren ersten Einsatz hatte. Sie geleiteten das vereinseigene Prinzenpaar Klaus I und Ursel I in den Saal.

Nach dieser sogenannten Gründungssession wurden die Weichen für das Wachstum des Vereins gestellt. Josef Jochem war sowohl Präsident als auch Sitzungspräsident. Die Funkengardisten erhielten regen Zulauf, so dass Kommandanten Dr. Hans Manderscheid mit Felix Schneider einen Adjutanten und mit Josef Bohr einen Feldwebel zur Seite gestellt bekam. Legendär wurden die sogenannten Musterungen, bei denen sich am Rosenmontag junge Männer zum Beitritt in die Garde melden konnten. Natürlich nicht ohne vorher einer ausführlichen Musterung unterzogen zu werden, die für viel Belustigung beim närrischen Publikum sorgte. Auf dem oberen Markt fand dann eine feierliche Vereidigung statt.

Wie schon erwähnt, gab es damals keine weibliche Tanzgarde. Allerdings wurde ein Funkenmariechen zugelassen, welches sich sittsam mit einem langen Faltenrock zu bekleiden hatte, der wiederum durch ein Stahlband am Hochfliegen gehindert wurde – ganz im Sinne von Pfarrer Johann Schmidt, dem Don Camillo von St. Marien.

Auf Anregung von Präses Wiedenfeld entstand neben den Funkengardisten ein Fanfarenzug, welcher ebenfalls schnell an Größe gewann und bald über die Grenzen des Saarlandes bekannt war. Die erste Leitung hatte Wolfgang Bogler inne. Der Verein wuchs insgesamt rasant. Neue Mitglieder rekrutierten sich vor allem aus dem Umfeld der Kolpingfamilie und der Pfarrei St. Marien, also aus gut katholischem Milieu. Besonderes Augenmerk legte man bei den Roten Funken auf die Büttenredner. War die erste Kappensitzung noch mehr oder weniger improvisiert worden, sollten nun qualitativ hochwertigere Reden die spontanen Auftritte ersetzen.

Gottfried Zepp, Karl Stummbillig, Hans Thömmes, Paul Schall, Karl-Heinz Schwehm, Josef Becker, Karl-Josef Meiser, Theo Blügel und Emil Schild, der später Präsident der Eulenspiegel war, sind Redner, die auf ewig in der Funkenbütt unvergessen sein werden.

Daneben sind Namen wie Ottmar Hallauer, Udo Funk, Helmut Lang und Werner Scherer über die Grenzen der Büttenstadt Neunkirchen bekannt geworden.

Ernst Wilding schrieb und komponierte zahlreiche Lieder für die Funken. Noch heute benutzen die Funkengardisten das von ihm geschriebene Marschlied. Gespielt wurde dies alles von der funkeneigenen Kapelle, die Peter Woll mit Bravour leitete. Überhaupt ging es bei den Funken musikalisch zu. Die Sänger Alois Bengert, Hans Haßdenteufel, Willi Detemple, Hein Mayer und Dieter Kuckelkorn sorgten für ausgelassene Stimmung und Begeisterungsstürme beim Publikum. Dieter Müller und Wolfgang Schallmo, als die legendären zwei Schlippcher, sangen sich mit ihren Texten von einem Höhepunkt zum nächsten. Manfred Schneider und Hans Bogler setzten sich mit tollen Dekorationen und Bühnenbildern ein Denkmal.

Möglich war dies alles durch die Begeisterung und die Einsatzbereitschaft der Akteure. Die war verständlicherweise groß, denn außer dem Vereinsleben gab es damals weitaus weniger Freizeitangebote als heute. Der Ruf der Roten Funken eilte ihnen über die Grenzen des Saarlandes voraus und es wurden zahlreiche Verbindungen zu anderen Vereinen geknüpft, die selbstverständlich mit Besuch und Gegenbesuch einhergingen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die besuchenden Büttenredner von außerhalb des Saarlandes eine Redegenehmigung benötigten, denn das Saarland war zu jener Zeit noch unter französischer Verwaltung bzw. hatte einen Sonderstatus. So wurden zahlreiche Kontakte gepflegt, sei es nach Speyer zum Funkenkorps Rot-Weiß, nach Bad Dürkheim sowie Frankenthal oder auch zur Kölner Karnevalsgesellschaft Lyskircher Jungen, deren Gegenbesuche noch heute von manch altem Karnevalist mit Überschwang erzählt werden. „Seiner Tollität Luftflotte“ oder das „Wolkenschieber Ballett“ aus Köln zeigten Auftritte, die sich unvergessen in die Erinnerungen „alter“ Funken eingebrannt haben. Leider gingen diese Verbindungen über die Jahre verloren.

Zu Beginn der Sechziger Jahre wurden auch die Roten Funken von einer Krise nicht verschont, wie sie im Leben eines Vereines in gewissen Zyklen immer wieder einmal passieren können. Man sprach von den kritischen Sechziger Jahren. Die Roten Funken nahmen sich diese Kritik zu Herzen um mit neuem Wind, Ideen und Zähigkeit die Talsohle zu durchschreiten.

1961 trennte man die Funktion von Präsident und Sitzungspräsident. Während Josef Jochem, der bis dahin diese beiden Ämter in seiner Person vereint hatte, weiter als Sitzungs- und Elferratspräsident zur Verfügung stand, übernahmen Felix Schneider bis 1963 und Dr. Hans Manderscheid bis 1972 das Amt des Präsidenten.

So gingen die ersten 22 Jahre der Vereinsgeschichte ins Land und die Rote Funken hatten ihren festen Platz in der Neunkircher Faasenacht.

In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass die Roten Funken Mitbegründer des NKA waren und dort eine wichtige Rolle spielten. Hier soll aber auf die Geschichte des NKA verwiesen werden, diesen Rahmen hier sprengen würde.

Die Roten Funken jedenfalls sollten mit voller Kraft und viel Elan die nächsten Jahre gestalten.

 

Archivar Alexander Müller-Benz